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Nachhaltige digitale Lösungen setzen Maßnahmen zur Reduktion der Umweltauswirkungen bereits im Konzept und Design um, nicht erst in der technischen Implementierung. Denn betrachtet man den Lebenszyklus von digitalen Lösungen, so stellt man fest, dass ein … auf den Client-Endgeräten entsteht, also beispielsweise auf Laptops oder Smartphones. Durch nachhaltiges digitales Design lassen sich besonders die clientseitigen Umweltauswirkungen reduzieren. Zudem können viele Fehlentscheidungen während der Entwurfsphase nur schwer in der Implementierung wieder ausgebessert werden. Wie genau nachhaltiges digitales Design geht, zeige ich in diesem Blog-Beitrag.

Was macht ein nachhaltiges digitales Design aus?

Nachhaltiges Design hat zwei primäre Wirkweisen. Einerseits werden Entscheidungen so getroffen, dass der Ressourcenverbrauch und die Umweltauswirkungen auf das System minimiert werden. Andererseits besteht insbesondere in der Konzeption die Möglichkeit, Nutzenden nachhaltige Entscheidungen zu erleichtern und sie so bei einer nachhaltigen Lebensweise zu unterstützen. Digitales Design schließt hier gemäß dem Berufsbild des Digital Design Professional beide Wirkweisen ein. Neben dem User Experience Design – also beispielsweise der Definition von Informationsarchitekturen – hat auch das klassische User Interface Design – Typografie, Farben, Medien – einen relevanten Einfluss auf die Umweltauswirkungen von Systemen.

Bei nachhaltigem Design geht es um Einfachheit. Systeme müssen auf das Wesentliche fokussiert werden, um genau so viele Ressourcen zu verbrauchen, wie es für den Anwendungsfall nötig und sinnvoll ist. Diese Einfachheit führt zu effizienteren und ressourcenschonenderen Nutzungsmustern. Zudem wird die Menge an übertragenen Daten reduziert, wodurch die Netzwerkinfrastruktur weniger Strom verbraucht. Es werden weniger physische Speichermedien für die Vorhaltung der Daten verwendet und die benötigte Rechenleistung zur Verarbeitung der Daten kann ebenfalls gesenkt werden. Zudem bietet nachhaltiges Design den Verwenderinnen und Verwendern Optionen und Empfehlungen für eine nachhaltigere Nutzung von Systemen. Zur Operationalisierung dieser Anforderungen haben wir bei adesso Guidelines entwickelt, auf die wir bei der Umsetzung von Projekten achten wollen. Die Quintessenz dessen findet sich in den folgenden Absätzen.

Nachhaltige Defaults

Nachhaltiges Design verwendet die nachhaltigsten Auswahloptionen als Standardeinstellungen. Konfigurationen, die von Nutzenden gewählt werden können, haben einen hohen Einfluss auf die Umweltauswirkungen von Systemen. Im Browser kann dies die Startseite sein, die entweder die aktuellen News anzeigt – und damit bei jedem neu geöffnete Tab viele Ressourcen verbraucht – oder einfach eine aufgeräumte Seite, die nur essenzielle Inhalte enthält. Bei einem Videostream kann es die Bildauflösung sein, die häufig deutlich höher ist als für den Anwendungsfall nötig oder sinnvoll. Im Fall einer Webanwendung kann so die Option für Benachrichtigung standardmäßig deaktiviert und der Dark Mode aktiviert sein. Entscheidend ist, dass Nutzende weiterhin die Wahl haben, das System ihren individuellen Bedürfnissen anzupassen. Indem jedoch nachhaltige Optionen als Standard angeboten werden, werden Nutzende gerade beim Onboarding weniger überfordert und können sich ganz auf das mit dem System zu lösende Problem konzentrieren.

Flow auf Nachhaltigkeit optimieren

Nachhaltiges Design optimiert die Interaktionspfade von Usern. Ein effizienter Nutzungsfluss minimiert den Bedarf an Serverabfragen und clientseitigen Berechnungen und reduziert so die Datenübertragung und den Energieverbrauch. Je weniger Seiten oder Klicks Nutzende auf der Suche nach einer Information oder auf dem Weg zu einer Eingabe benötigen, desto weniger Umweltauswirkungen entstehen für diese Interaktion. Durch eine einfache und intuitive Informationsarchitektur werden zudem die Usability und das gesamte Nutzungserlebnis besser und Nutzende sind weniger schnell frustriert mit der Nutzung.

Demand Shaping anhand von Sonne und Wind

Nachhaltiges Design passt seinen Ressourcenverbrauch der Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien an. Wenn mittags das ganze Land Strom verbraucht, Wolken am Himmel hängen und nur ein lauer Wind weht, müssen fossile Energieträger hochgefahren werden, um die Nachfrage zu decken. Wenn man die Wahl hat, sollte zu dieser Zeit nicht noch mehr Strom verbraucht werden. Auf mobilen Endgeräten gibt es seit langem den „Stromsparmodus“ oder „Eco Mode“. Dieser macht nichts anderes, als den Funktionsumfang auf das Essenzielle zu reduzieren, solange die Stromversorgung limitiert ist. Bisher zielten diese Maßnahmen primär auf eine verlängerte Akkudauer ab. Analog lassen sich jedoch auch Funktionen, Bilder, Videos oder Farben anpassen, wenn gerade keine nachhaltige Energie verfügbar ist. Gerade bei der Steuerung nicht kritischer Inhalte, Ressourcen und Funktionen können Anwendungen ihren Ressourcenbedarf so auch kurzfristig reduzieren. Eine Implementierung dieses Patterns findet sich beispielsweise beim Branch Magazine.

Enablement der Nutzenden

Nachhaltiges Design hilft Nutzenden dabei, nachhaltig zu leben. Durch die Anwendung psychologischer Techniken wie Priming, Framing und Nudging wird es Nutzenden erleichtert, umweltbewusste Entscheidungen zu treffen: Priming setzt Stimuli und Nutzende werden beispielsweise zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen befragt. Beim Framing stellen Systeme ihren eigenen Ressourcenverbrauch transparent dar und bieten nachhaltige Filteroptionen an. Und durch Nudging werden Nutzende für nachhaltige Entscheidungen – wie das Herunterladen eines oft gehörten Songs auf Spotify – gelobt oder mit Gamification-Mechanismen belohnt. Diese Techniken zielen darauf ab, Nutzenden die Entscheidung für die nachhaltige Alternative zu erleichtern.

Benachrichtigungen minimieren

Nachhaltiges Design versendet nur essenzielle Benachrichtigungen. Dazu müssen redundante oder unnötige Benachrichtigungen, Pop-ups, Newsletter und transaktionale E-Mails minimiert oder vermieden werden. Das Pull-Prinzip, also der bewusste und bedarfsgerechte Abruf durch Nutzende, sollte dabei im Vordergrund stehen. So können Nutzende selbst entscheiden, wann und welche Benachrichtigungen sie erhalten möchten und welche ihre Umweltauswirkungen eben nicht wert sind. Niemand mag ungefragte Nachrichten in seiner Inbox oder auf dem Homescreen. Indem wir die Menge an versendeten Benachrichtigungen minimieren, sparen wir nicht nur Bandbreite, Speicherplatz und Rechenleistung, sondern reduzieren auch die kognitive Last der Nutzenden. Zudem kann auch für Benachrichtigungen Demand Shaping angewendet werden, besonders wenn die Benachrichtigungen eher informativ und nicht zeitkritisch sind.

Medien sparsam einsetzen

Nachhaltiges Design nutzt ressourcenschonende Datenformate und sparsame Varianten medialer Inhalte. Jedes nicht übertragene Bit spart Energie an mehreren Stellen: in der Netzinfrastruktur, auf physischen Speichergeräten und bei der Datenverarbeitung, etwa bei der Analyse. Gerade bei Bildern und Videos mit hohen Auflösungen und ihren drei Farbkanälen kommt da schnell viel zusammen. Um dem entgegenzuwirken, können Bildvarianten in Graustufen, Blur an den Kanten oder Piktogramme die Datenmenge ohne Qualitätseinbußen reduzieren. Medien sollten zudem in modernen Formaten gespeichert werden, um die Datenlast zu minimieren. So sollten effiziente Dateiformate – MP4 statt GIF, WebP statt JPG und Audiospuren statt Videos – verwendet werden.

Statische Inhalte bevorzugen

Nachhaltiges Design bevorzugt statische Inhalte. Statische Inhalte erfordern weniger Rechenleistung für das Rendering, was die Server-Ressourcen weniger belastet und den Energieverbrauch auf der Client-Seite reduziert. Statt springender, drehender und sonstiger dynamischer Inhalte, die mit JavaScript animiert werden, fokussiert sich nachhaltiges Design auf das Wesentliche. Dies trägt neben einer Reduktion der Umweltauswirkungen ganz nebenbei auch noch zur Übersichtlichkeit und Barrierefreiheit bei.

Schriftarten und Farben gezielt auswählen

Nachhaltiges Design nutzt vorhandene Schrifttypen und gesättigte Farben. Denn spezielle Schrifttypen wie Google Fonts werden regelmäßig von externen Servern geladen, was Ressourcen verbraucht. Die Wirkweise gesättigter Farben ist zudem analog zu der eines Dark Mode. Je dunkler ein Pixel auf einem Bildschirm, desto weniger Energie wird für die Aufhellung dieses Pixels benötigt.

Guidelines für ein ökologisch nachhaltiges Konzept und Design bei adesso

Die Aspekte, auf die man für ein nachhaltiges digitales Design achten sollte, sind also: Defaults, Flow, Demand Shaping, Enablement, Benachrichtigungen, Medien, dynamische Inhalte sowie Schriftarten und Farben. Als Anbietende und Betreibende von digitalen Lösungen haben wir die Verantwortung, nachhaltige digitale Lösungen zur Verfügung zu stellen. Das fängt bereits im Konzept und im Design an und zieht sich durch bis zur Entscheidungsunterstützung von Nutzenden. Wie schon unsere Guidelines zu nachhaltiger Softwarearchitektur sind auch diese Guidelines in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen entstanden, die in den entsprechenden Rollen in Projekten arbeiten. Vielen Dank an alle, die dabei mitgewirkt haben.

Zielkonflikte

„Aber wird die Nutzungserfahrung dann nicht schlechter?“ oder „Sieht das dann überhaupt noch aus?“ sind häufige Befürchtungen, die zu nachhaltigem digitalem Design geäußert werden. Wir bei adesso haben das mal auf die Probe gestellt. In verschiedenen experimentellen Set-ups haben wir dazu dieselbe Anwendung in unterschiedlichen Reifegraden der digitalen Nachhaltigkeit mit Nutzenden getestet. Das Ergebnis: „Wir können Websites gestalten, die 75 Prozent des Ladevolumens einsparen, ohne eine Verringerung der Nutzerakzeptanz.“ Mehr dazu gibt es in dieser Podcast-Folge zu nachhaltigen digitalen Touchpoints.

Natürlich werden sich immer Bedenkenträgerinnen und -träger finden, die in einzelnen der vorgestellten Maßnahmen primär die Probleme sehen. Denen es besonders wichtig ist, zu welcher Uhrzeit Newsletter versendet werden. Die Websites auf Retention statt auf effektive Problemlösung optimieren. Die unter keinen Umständen Abweichungen von der Brand Identity zulassen. Argumente gegen Nachhaltigkeit und für den bisherigen Kurs finden sich immer. Die Kunst im nachhaltigen Design besteht speziell darin, diese Bedenken ernst zu nehmen, aber gleichwertige Alternativen anzubieten. Das schließt notfalls auch ein, bisherige Anreizmodelle und KPIs zu hinterfragen. Wenn nachhaltige Alternativen dann noch, wie im Beispiel oben, mit belastbaren Daten untermauert werden können, kann mit Zweifeln an der Vereinbarkeit von Nachhaltigkeit und Geschäftszielen aufgeräumt werden.

Bild Yelle Lieder

Autor Yelle Lieder

Yelle Lieder ist Green IT Lead bei adesso. Als Teil des CIO Advisory Competence Centers konzentriert er sich auf Strategien zur Messung und Reduzierung der Umweltauswirkungen von IT-Systemen sowie auf den Einsatz von Technologie zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen.

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