3. April 2023 von Timo Hartmann, Simon Bächle und Ellen Szczepaniak
Redispatch 3.0: Engpassmanagement durch dezentrale Kleinstanlagen?
Wie verhindert man die Überlastung einer Stromleitung?
An besonders sonnenreichen oder windstarken Tagen haben die Netzbetreiber häufiger damit zu kämpfen, dass die prognostizierte Einspeisung von erneuerbaren Energien übertroffen wird. Die zusätzliche Erzeugung kann eine Gefahr für die beteiligten Netzabschnitte bedeuten. Um dieser Gefahr präventiv entgegenzuwirken, kommt das Redispatch-Verfahren zum Einsatz.
Beim Einsatz von Redispatch wird die Überlastung von Leitungsabschnitten im Stromnetz vermieden, indem Einspeiseleistung von Kraftwerken reguliert wird. Ein besonderes Merkmal des Redispatch-Verfahrens ist die Verwendung von Kraftwerkpärchen. Ein Kraftwerk vor dem Engpass reduziert dabei die Einspeisung, während das dahinterliegende Kraftwerk seine Leistung erhöht. Dadurch wird die Einspeisung verschoben, ohne dass sich die Gesamtmenge des ins Netz eingespeisten Stroms verändert. So wird ein ausgleichender Lastfluss erzeugt, der den Engpass verhindern soll.
Im Zuge der verstärkten Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Energien sind Redispatch-Maßnahmen häufiger erforderlich. Insbesondere Windkraft- und Solaranlagen unterliegen wetterabhängigen Schwankungen, weshalb ausreichend Blindleistung zur Kompensation von Spannungsschwankungen bereitstehen muss. Kraftwerksbetreiber sind gesetzlich dazu verpflichtet, an Redispatch-Maßnahmen mitzuwirken, und erhalten dafür auch eine Vergütung.
Das Redispatch-Verfahren ist dabei nicht auf eine bestimmte Regelzone beschränkt, sondern kann innerhalb mehrerer Regelzonen oder im gesamten Verbundnetz durchgeführt werden. Zusammenfassend handelt es sich um ein zentrales Instrument zur Sicherung der Netzqualität und ermöglicht die sichere Integration erneuerbarer Energien in das bestehende Stromnetz sowie ihre effiziente Nutzung.
Welche Änderungen brachte der Redispatch 2.0 mit sich?
Der Redispatch 2.0, der am 01.10.2021 in Kraft getreten ist, brachte einige bedeutende Veränderungen mit sich. So erhalten Anlagenbetreiber einen finanziellen Ausgleich für den Redispatch, der vom Verteilnetzbetreiber (VNB) getragen wird anstatt wie bisher vom Bilanzkreisverantwortlichen. Dies bedeutet ebenfalls, dass der Verteilnetzbetreiber zusätzliche Aufwände wie Datenaustausch, Prozesse und Buchungen hat.
Die zweite Version des Redispatch berücksichtigt auch Anlagen, die weniger als 10 Megawatt (MW) Nettoleistung liefern. Im ursprünglichen Redispatch wurden nur Anlagen mit einer Erzeugungskapazität von mehr als zehn MW in Betracht gezogen. Die Schwelle wurde nun auf ≥ 100 Kilowatt (KW) gesenkt und nachrangig kommen auch ferngesteuerte Anlagen mit < 100 KW in Frage. Die Abschaltreihenfolge berücksichtigt erneuerbare Energien, hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplung und fernsteuerbare Kleinanlagen in nachrangiger Reihenfolge. Infolgedessen sind nun deutlich mehr Anlagen vom Redispatch betroffen, als es zuvor der Fall war.
Im Bereich der Photovoltaikanlagen gibt es außerdem einige Bedenken bezüglich des Kosten-Nutzen-Verhältnisses. Vor allem ältere Anlagen können nicht in vollem Umfang zur Systemsicherheit beitragen und bringen vorab einen zu hohen Aufwand mit sich, um in den Redispatch 2.0 integriert zu werden. Grund dafür ist, dass die Fernsteuerbarkeit älterer Anlagen zunächst hergestellt werden muss, es fallen Umbauten und Anpassungen der Anlagen an.
Ein weiteres Problem, das mit dem Redispatch 2.0 einhergeht, ist auf Seiten der Direktvermarkter anzutreffen. Obwohl beim gesetzlich verankerten Redispatch 2.0 die kurze Einführungszeit von Marktpartnern bemängelt wurde, wurde eine stufenweise Einführung nicht durchgeführt. Die Übergangslösung hat auf Seiten der Direktvermarkter zu einem immensen Mehraufwand geführt, der durch das Fehlen von klaren Formaten und Fristen für die Marktkommunikation und Rechnungserstellung erweitert wird. Die Diskrepanz zwischen Vergütung und finanziellem Ausgleich führt zu Verlusten. Ebenfalls fehlt eine transparente Kommunikation zwischen den VNBs, was die Umsetzung des Redispatch 2.0 intransparent gestaltet und zu Verzögerungen führt.
Obwohl die gegenwärtige Umsetzung des Redispatch 2.0 nicht ohne Kritik geblieben ist, ist es wichtig zu betonen, dass dieser Mechanismus einen essenziellen Beitrag zur Gewährleistung der Systemsicherheit leistet. Durch gezielte Anpassungen der beteiligten Prozesse könnten die beschriebenen Schwierigkeiten erfolgreich bewältigt werden.
Warum benötigt man Redispatch 3.0?
Redispatch 2.0 brachte bereits sinnvolle Änderungen mit sich, allerdings besteht weiterhin Bedarf bei der Regelung von erneuerbaren Energien und Verbrauch. Die Gründe sind folgende:
- 1. Fehlende Kraftwerksleistung: Allein durch die Stilllegung der Atomkraft- und Kohlekraftwerke in Baden-Württemberg und Bayern fehlt Süddeutschland eine flexible Kraftwerksleistung von ca. 7,7 Gigawatt. Diese fehlende Kraftwerksleistung könnte durch Strom aus Windkraft aus dem Norden gelöst werden.
- 2. Fehlende Netzkapazität: Die geplanten Strom-Autobahnen von Nord nach Süd sind noch nicht fertiggestellt und verzögern sich weiter. Demnach ist eine logische Konsequenz, die bestehenden sowie zukünftigen Technologien zu nutzen und nicht auf den Netzausbau zu warten.
- 3. Neue Akteure: Durch die Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors steigt die Anzahl an Erzeugerinnen und Erzeugern sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern im Bereich von weniger als 100 kW Nennleistung deutlich an. Insbesondere durch die Energiekrise konnten die Absatzzahlen von Wärmepumpen im Jahr 2022 um 53 % gegenüber dem Vorjahr gesteigert werden. Ebenfalls verzeichnen E-Autos und Hausbatteriespeicher ein starkes Wachstum. Diese drei Technologien erhöhen den Bedarf an Strom und zeitgleich eröffnen sie neue Möglichkeiten.
Hier setzt Redispatch 3.0 an und versucht das Flexibilitätspotenzial dieser Klein- und Kleinstanlagen zu nutzen, um das Stromnetz zu stabilisieren. Dabei soll die kostenbasierte Regelung des Redispatch 2.0 nicht verändert oder gar abgeschafft werden, sondern ein ergänzendes Konstrukt geschaffen werden. Hierbei soll beim Redispatch 3.0 ein Markt geschaffen werden, in dem E-Autos, Hausbatteriespeicher und Wärmepumpen teilnehmen können. Besitzerinnen und Besitzer von Klein- und Kleinstanlagen, die sich entscheiden, ihre Anlage an den Markt anzubinden, können auf zusätzliche Erlöse hoffen. Die Anlagen können ihr Lastverhalten je nach Marktpreis anpassen, sodass z. B. ein E-Auto nur in bestimmten Stunden lädt oder eine Wärmepumpe ihren Lastgang auf bestimmte Stunden verschiebt. Eine konkrete Umsetzung des Marktdesigns für den Redispatch 3.0 besteht noch nicht, jedoch erarbeiten die Übertragungsnetzbetreiber in ersten Forschungsprojekten und Feldversuchen mögliche Konzepte. Eine potenzielle Umsetzung wäre, dass die Anlagenbesitzerinnen und -besitzer sowohl einen Leistungs- als auch einen Arbeitspreis bieten können. Der Leistungspreis dient lediglich zur Vorhaltung von Flexibilität und vergütet die Besitzerin bzw. den Besitzer für die Vorhaltung einer gewissen Leistung. Falls die vorgehaltene Leistung benötigt wird und es zu einem tatsächlichen Abruf der Flexibilität kommt, wird mittels des Arbeitspreises die gelieferte Energiemenge vergütet. Diese Aufteilung orientiert sich am Sekundärregelleistungsmarkt und ist ein erprobtes Marktdesign.
Was sind die zukünftigen Herausforderungen?
Die Herausforderungen für eine erfolgreiche Umsetzung von Redispatch 3.0 reichen von der Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen über die Benutzerfreundlichkeit bis hin zur technischen Anbindung der Anlagen. In dem europäischen Gesetz „Clean Energy Package“ ist bereits enthalten, dass die Flexibilität von dezentralen Kleinstanlagen genutzt werden soll, um die Netzstabilität sicherzustellen. Allerdings hat Deutschland das Gesetz noch nicht in nationales Recht umgesetzt, sodass z. B. derzeit keine Regeln für Verbraucherinnen und Verbraucher definiert sind. Des Weiteren werden E-Auto-Fahrerinnen und -Fahrer nicht an einem solchen Markt teilnehmen, wenn der Aufwand zu hoch ist, denn der Mehrerlös muss den Aufwand rechtfertigen. Hierbei ist es auch notwendig, dass der Gesetzgeber administrative Hürden sowie das Steuerrecht schlank formuliert, sodass Privatleute nicht abgeschreckt werden.
Abschließend wird die Umsetzung nur gelingen, wenn alle Anlagen zur Kommunikation über ein BSI-konformes Smart Meter Gateway verfügen. Des Weiteren muss hierfür ein echtzeitfähiger Datenaustausch sowie Datenverarbeitung gewährleistet sein. Hier setzt Gaia-X an. Bei Gaia-X handelt es sich um eine Initiative mit dem Ziel, eine europäische Cloud- und Dateninfrastruktur zu entwickeln und so eine vertrauenswürdige, souveräne und sichere Dateninfrastruktur in Europa zu ermöglichen, damit Unternehmen, u. a. aus der Energiewirtschaft, ihre Daten sicher speichern, verarbeiten und teilen können. Durch eben diese sichere und interoperable Dateninfrastruktur kann Gaia-X indirekt dazu beitragen, die Integration der erneuerbaren Energien zu unterstützen, somit das Stromnetz zu stabilisieren und die Notwendigkeit der Redispatch-Maßnahmen zu reduzieren. Darüber hinaus kann Gaia-X auch helfen, die Effizienz des Stromnetzes zu verbessern, indem es die Implementierung von Echtzeit-Überwachungs- und Steuerungssystemen erleichtert.