Menschen von oben fotografiert, die an einem Tisch sitzen.

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In vielen Branchen werden derzeit sehr ambitionierte KI-Projekte gestartet – dennoch ist in weiten Teilen der Bevölkerung noch immer Skepsis gegenüber dem Einsatz von KI-Anwendungen verbreitet. Im öffentlichen Diskurs werden mit Blick auf die Zukunft Worst-Case-Szenarien angeführt, eine differenzierte Auseinandersetzung mit tatsächlich realisierbaren Use Cases findet jedoch nicht statt. Grund genug, da einmal hinzusehen.

Grund aller Skepsis

Menschen beurteilen den Einsatz neuer Technologien und die damit verbundenen Benefits stets aus Nutzensicht: Können sie etwas gewinnen oder gar verlieren? Neuen Technologien wird zuvorderst mit einer risikoaversen Position begegnet, erst recht, wenn noch kein fundamentales Verständnis ausgeprägt ist. Zu ungewiss ist meist die Funktionsweise und insbesondere die tatsächliche Verwendung der personenbezogenen Daten. In diesem Punkt sind gewisse Vorbehalte auch nachvollziehbar. Doch wie war das in der Vergangenheit, als man sich bei der Wegsuche nicht auf die Navigationshilfe per Smartphone verlassen wollte, weil manche Baustellen unbekannt waren? Heute ist die Verkehrsprognose von mobilen Diensten präziser, als es bei manch integrierten Diensten der Fall ist. Und besaßen ältere Generationen oftmals Vorbehalte gegenüber dem Teilen von Informationen in sozialen Medien oder der Nutzung von Online-Kommunikationsdiensten, sind diese – Corona sei Dank – spätestens jetzt auf breiter Front gewichen. Doch warum wird KI noch immer mit Argusaugen betrachtet?

Raus aus der Komfortzone – Beschäftigungsaspekte vs. beruflicher Change

KI wird oftmals zugeschrieben, eine Vielzahl von Jobs zu gefährden. Eine aktuelle Studie zum Thema Robotic Process Automation (RPA) beziehungsweise Robotics hat Zahlen aus den Jahren 1990 bis 2016 untersucht und kam zu erstaunlichen Ergebnissen: Unternehmen, die Roboter einsetzen, steigerten ihre Produktion um durchschnittlich 20 bis 25 Prozent, wobei die Zahl der Beschäftigten ebenfalls um 10 Prozent zulegte. Der Einsatz von RPA führte zudem zu einer Umverteilung der Marktanteile, was für dessen Wettbewerbsrelevanz spricht.

Nun ist RPA nicht KI. Das Institut für angewandte Arbeitswissenschaft geht davon aus, dass sich durch digitale Vernetzung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz etwa 75 Prozent aller Arbeitssysteme in den Bereichen Erkennen, Verarbeiten, Interagieren und Steuern verändern. Die Fragen sind daher, welche Arbeitsinhalte zukünftig in sinnvoller Weise von Menschen und welche von KI-Komponenten übernommen werden können. Als gesichert erscheint, dass gerade bei ausführenden oder analytischen Tätigkeiten negative Beschäftigungseffekte zu erwarten sind. Das Risiko der Betroffenheit wächst dabei proportional, je einfacher die Tätigkeiten angelegt sind. Entscheidend wird in Zukunft also sein, mit welchen Maßnahmenpaketen der Entwicklung begegnet und die Beschäftigung durch Bildungs- und Weiterbildungsangebote gestützt wird.

Unternehmen mit einer strategischen Personalarbeit können womöglich wichtige Allokationsprobleme lösen, indem sie Mitarbeitende rechtzeitig unterstützen und durch gezielte Qualifizierungsmaßnahmen dort einsetzen, wo diese ihre Arbeit wirksamer verrichten können. Viele Mitarbeitende erhalten damit auch die Chance, in eine neue Fachlichkeit und in neue Berufsfelder hineinzuwachsen und so neue und lohnenswerte Perspektiven zu finden. Somit wird aus dem zahlenjonglierenden Sachbearbeiter der IT-Projektmanager oder aus dem papieraffinen Referenten der Agile Master. Möglich erscheint dies allemal. Die allgemeinen Tendenzen am Arbeitsmarkt lassen aber den vorschnellen Schluss auf überholende negative Entwicklungen durch den Einsatz von KI derzeit nicht zu.

Die Mär von der Über-KI

Auf Basis des heutigen Standes der Technik, werden für KI bestimmte Algorithmen verwendet, die nach mathematischen Optimierungsregeln arbeiten. Durch Verfahren des maschinellen Lernens wird eine Anwendung dazu befähigt, basierend auf der Erfahrung aus der Vielzahl von zuvor analysierten Fällen, über die Handhabung eines nächsten Falles zu entscheiden. Eine Klassifizierungssituation also oder eine Entscheidung per Analogie. Was jedoch allen derzeitigen KI-Anwendungen immanent ist: Über die von der Anwendung erbrachte Qualität entscheidet immer noch der Mensch. Sprich, die Hoheit über die Maschine bleibt weiterhin bei einem Entscheidungsträger, der für die Qualitätssicherung des Outputs der Maschine verantwortlich ist. An diesem bewährten Prinzip der menschlichen Verantwortung halten auch die Aufsichtsbehörden fest. So will die BaFin, zumindest nach eigenem Bekunden, keine Modelle oder Algorithmen akzeptieren, die als Black Box funktionieren. Das Szenario einer „sich verselbstständigenden“ KI bedarf folglich weitaus gravierenderer Innovationssprünge, als es diese Technologie heute selbst ist.

XAI – Der neue Erklärbär

KI-Anwendungen wurden in der Vergangenheit (zurecht) als Black Box bezeichnet, da für den User nicht erkennbar war, auf welcher Basis die Software ihre Annahmen für eine Entscheidung getroffen hat. Ein Argument, das einem Einsatz immer wieder und als ein ewiges Mantra entgegengehalten wurde. Daraus wurde, wie zum Beispiel durch die BAFin, die Anforderung abgeleitet, dass KI-Algorithmen sorgfältig und zugleich transparent entwickelt werden müssen und die Entscheidungen der KI nachvollziehbar sein sollen. Der sorgfältigen und transparenten Entwicklung wird heute durch ein individuell auf KI ausgerichtetes methodisches Vorgehen nachgekommen. Auch die Nachvollziehbarkeit von KI-Entscheidungen wurde inzwischen gelöst. Es wurden neue Algorithmen entwickelt, die von der getroffenen Entscheidung sozusagen zum Ursprung zurückrechnen und im Ergebnis diejenigen Einflussfaktoren beziehungsweise Variablen kenntlich machen, auf denen die Entscheidung beruht. Hierbei handelt es sich um eine Weiterentwicklung von KI, das sogenannte Explainable Artificial Intelligence (XAI). Damit kann in jedem Einzelfall die Entscheidung der KI belegt und nachvollzogen werden. Dies ist beispielsweise für Revisionsfragen von besonderem Gewicht.

Tue Gutes und rede darüber #1: KI als Diagnosewerkzeug

Werfen wir einen Blick auf das, was KI bereits heute tut, um eine unbestreitbare Rechtfertigung zu haben. Nehmen wir das Thema Gesundheit: Bei Krebs handelt es sich um die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Eine der häufigsten Krebsarten ist dabei der Lungentumor. Forscher entwickeln derzeit ein KI-basiertes Assistenzsystem, das in absehbarer Zeit Ärzte bei der Entscheidungsfindung unterstützen soll. Dies geschieht durch die KI-gestützte Auswertung von CT-Bildern der Lunge, die auf sogenannten neuronalen Netzen beruht und mit tausenden Präzedenzfällen trainiert wird. So können lokale Abweichungen vom gesunden Gewebe schnell entdeckt werden. Insbesondere die Prävention, Früherkennung und Behandlung von Lungenkrebs soll damit deutlich verbessert werden. Gleiches gilt für die Früherkennung von Krebserkrankungen des Verdauungstraktes oder bei Brustkrebs.

Eine Studie zur Früherkennung von Darmkrebs hat gezeigt, dass durch den Einsatz von KI etwa 20 Prozent mehr Krankheitsbilder erkannt werden, als dies per Endoskopie möglich war. Die korrekte Unterscheidung beziehungsweise Identifizierung lag bei 96 Prozent in Echtzeit. Das heißt, das Ergebnis konnte noch während der Untersuchung festgestellt werden. Erst kürzlich hat eine KI-Lösung zum Brustkrebs-Screening in Deutschland erstmals eine CE-Zertifizierung der Klasse IIb des Medizinproduktegesetzes (MPG) erhalten. Diese Zertifizierung kann als Meilenstein für die KI-basierenden Diagnostikwerkzeuge betrachtet werden. Nicht wenige Mediziner gehen davon aus, dass sich KI in den kommenden Jahren zu einer „Geheimwaffe im Kampf gegen Krebs“ etablieren wird.

Tue Gutes und rede darüber #2: KI als Klimaretter

Unternehmen nutzen schon heute intelligente Algorithmen, um die Energieeffizienz von Maschinen zu steigern. Dabei werden Maschinen in einer sogenannten Energy-Management-Plattform aufgenommen, um Abweichungen im Energieverbrauch zu erkennen und mögliche Lastspitzen aufzufangen. Das Ganze hat positive Effekte, so konnte zum Beispiel ein Unternehmen den Kohlendioxidausstoß seiner Werke innerhalb von zwei Jahren um etwa zehn Prozent senken. Darüber hinaus kann durch das Zusammenspiel von Sensorik und KI der Energieverbrauch langfristig prognostiziert und reduziert werden.

Ein weiteres Beispiel: Innerhalb eines Weinguts, das unter Trockenheit leidet, werden sämtliche Informationen zur Bodenfeuchtigkeit, zum Grundwasserspeigel, zur Temperatur und zum Wind an einem zentralen Rechner gesammelt. Auch Satelliten-, Wetter- und Klimadaten werden hinzugezogen, so dass ein KI-System lernt , wichtige Zusammenhänge zu erkennen. Durch den Einsatz von KI wird auf diese Weise für jede Rebe die optimale Bewässerungsmenge berechnet und damit präzise die Menge an Wasser bestimmt, die zur optimalen Bewässerung des gesamten Weingutes benötigt wird. Im Ergebnis wurde der Wasserverbrauch um 25 Prozent reduziert, die Ernte aber um 30 Prozent gesteigert. KI kann also in signifikantem Maße dazu beitragen, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz sowie Umwelt- und Klimaschutz sicherzustellen.

Tue Gutes und rede darüber #3: KI als Pandemie-Frühwarnsystem

Aufgrund der aktuellen Geschehnisse im Corona-Kontext, möchte ich natürlich auch einen Blick auf diesen Use Case werfen: Eine in Kanada ansässige Firma hat sich der Vorhersage von Epidemien angenommen und setzt in der Früherkennung auf eine Kombination aus künstlicher und menschlicher Intelligenz. Der KI-Algorithmus durchsucht selbstständig das Internet und scannt dabei regionale Nachrichten in circa 65 Sprachen, diverse Datenbanken und Gesundheitswarnungen. Zudem werden aber auch Informationen aus Foren und Blogs einbezogen, die ebenfalls Hinweise enthalten und auf etwaige Auffälligkeiten hinweisen. Die Ergebnisse der KI werden im Anschluss von Expertinnen und Experten evaluiert. Diese geben sodann eine Warnung heraus, wenn sie unter allen (wissenschaftlichen) Aspekten hinreichend plausibel erscheint.

Die aktuelle Corona-Pandemie hat die eingesetzte KI zum Beispiel neun Tage vor der ersten WHO-Warnung vorausgesagt. Mit Blick auf präventive Maßnahmen ist dieser zeitliche Vorsprung überaus signifikant und wichtig, da es sich fast um einen regelmäßigen Quarantänezyklus handelt. Zudem hatte diese KI auch korrekt die voraussichtliche Ausbreitungsrichtung des sogenannten Wuhan-Virus vorhergesagt, indem unter anderem auf Ticket- beziehungsweise Buchungsdaten von Fluglinien zurückgegriffen wurde.

Fazit

Die technischen Möglichkeiten von KI sind schon heute dazu geeignet, vielversprechende Use Cases mit einem unbestreitbaren Nutzen umzusetzen. Auch wenn für KI derzeit noch kein aufsichtsrechtliches Fundament steht, so geht es im Zentrum der kritischen Diskussion meist um den Schutz von personenbezogenen Daten. In Deutschland ist mit dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) seit jeher ein vergleichsweise hohes Schutzniveau gegeben, das mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) fortgeführt wurde. Es enthalt zahlreiche Grundsätze beziehungsweise Prinzipien, die auch dazu geeignet sind, die Anwendungsfälle von KI juristisch auf eine vertrauenswürdige Grundlage zu stellen.

Was fehlt nun noch, um KI zum Durchbruch zu verhelfen? Fokussierung und Mut. Fokussierung, um die richtigen Prioritäten in der Vielfalt der Anwendungsfälle zu setzen und Mut, um in diese Technologie zu investieren. Die digitale Transformation durch KI ist strategisch aber nur dann sinnvoll zu gestalten, wenn sie mit einer gezielten Personal- und Weiterbildungspolitik einhergeht. Das Vertrauen von Mitarbeitenden oder Usern wird mit der Zeit zunehmen, wenn sie den Nutzen von KI-Anwendungen vor Augen haben, ohne Schiffbruch mit personenbezogenen Daten zu erleiden. Werden Entwicklungsprinzipien und Nachvollziehbarkeit von KI-Entscheidungen ernst genommen, dann wird auch die Skepsis weichen, um KI den Einsatz in breiteren Anwendungsfeldern zu ermöglichen.

Auch bei uns dreht sich alles um KI. Erfahrt mehr darüber, was KI für einzelne Branchen bedeutet und werft einen Blick darauf, was KI hier und jetzt bereits verändert. Auf ki.adesso.at halten wir euch zudem mit Artikeln, Interviews, Videos und Veranstaltungen rund um KI auf dem Laufenden.

Bild Volker   Illguth

Autor Volker Illguth

Volker Illguth ist Senior Consultant bei adesso und hat seinen Beratungsschwerpunkt vor allem auf den zielgerichteten Einsatz von IT-Systemen im Schaden- und Personenschadenmanagement gelegt.

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